Stress

Stress - Grundlagen, Auslöser und Bewältigungsmöglichkeiten

6.2.3.3 Flow

Die letzte euthyme Ressource, die ich hier ansprechen möchte, ist das Flow-Erleben. Ich werde diesen Punkt etwas genauer ausführen, da ihm eine zentrale Rolle in der Einflussnahme auf das Wohlbefinden zukommt. Es liegt eine enorme Kraft in ihm, die für die Stressbewältigung sehr entscheidend ist. Im 3. Kapitel wurde bereits der positive Aspekt von Leistung beschrieben, welcher bei dem entsprechenden Zusammenspiel von Fähigkeit und Aufgabenschwierigkeit zu Stande kommen kann. Hieran soll nun angeknüpft werden.



Wenn in Atkinsons Modell die aktuelle Kompetenz und die Anforderung perfekt zueinander passen (mittlerer Schwierigkeitsgrad), kann es in dieser Optimalform zu einem Flow-Erleben führen.
Als Flow bezeichnet man ein Erlebnis, bei dem eine Person eine ihren Fähigkeiten entsprechende Aufgabe löst und dabei in dieser aufgeht, so dass alles andere vergessen wird. „Er [der Mensch] ist sich zwar seiner Handlungen bewusst, nicht aber seiner selbst.“[54]
Alle Gedanken und Empfindungen richten sich nur auf diese Tätigkeit, so dass eine sehr starke Aufmerksamkeitsfokussierung stattfindet. Man weiß ohne zu überlegen, was zu tun ist. Der Handlungsablauf ist dabei glatt und „fließt“ ineinander über; daher der Begriff „Flow“.[55] Andere Umweltreize werden ausgeblendet. Auch die Zeitwahrnehmung kann verzerrt sein, so dass einem Stunden wie Minuten vorkommen.
Trotz einer hohen Anforderung behält man das Gefühl der Kompetenz und Sicherheit. Man vergisst sich selbst und wird eins mit der Tätigkeit.[56] „ Man ist zu sehr von einem Erlebnis ausgefüllt, um darüber nachzudenken.“[57]
In dieser starken Konzentration kann es auch zu innerem Wachstum kommen: Zum einen erfährt man eine innere Ordnung, Ruhe und Leistungsfähigkeit. Man ist mit sich zufrieden.
Zum anderen wachsen die eigenen Fähigkeiten bei der Bewältigung einer solchen Aufgabe und man nimmt sein gewachsenes Können wahr. Dies führt dazu, dass man glaubt, in Zukunft noch schwierigere Aufgaben lösen zu können.

Man spricht dabei von einer spiralig ansteigenden Flow-Dynamik, auf die ich später noch einmal eingehen werde. Was für einen Flow absolut evident ist, ist das perfekte Zusammenspiel der Höhe der Anforderung und den persönlichen Fähigkeiten der Person.[58]
Das Diagramm soll den Zusammenhang noch einmal optisch verdeutlichen[59]:



Ergänzend muss hier erwähnt werden, dass jedes Individuum seine persönlichen Schwellen für den Eintritt bzw. Austritt aus dem Flow hat. Für gewisse Personen oder Tätigkeiten, könnte die Bandbreite um einiges schmaler oder breiter sein. Das Diagramm soll somit nur die allgemeine Richtung der Zusammenhänge anzeigen. Die genauen Übergangswerte müssten empirisch bestimmt werden.[60]
Wenn die Fähigkeiten niedrig sind, darf auch die Anforderung nicht zu hoch sein, da man sich sonst überfordert fühlen und in Angst verfallen würde. Hier gibt es natürlich auch noch innere Differenzierungen. Würde man eine Person mit Anforderungen bombardieren, die ihre Fähigkeiten um ein Weites überschreiten, dann entstünde ein Zustand der Angst. Wären die Handlungsanforderungen weniger zahlreich, dann würde die Person eher mit Sorge und nicht unbedingt mit Angst reagieren.[61]
Wenn die Fähigkeiten jedoch ein hohes Niveau haben und die Anforderungen zu gering sind, kommt es zu Langerweile oder zu einer gereizten Stimmung.
Nur wenn die Fähigkeiten beispielsweise im mittleren Bereich liegen, ebenso wie die Anforderungen, kann es zu einem Flow-Erleben kommen, das zu einer positiven Selbstbewertung führt.[62]
Es ist jedoch immer zu bedenken, dass es sich nicht um objektiv festzuhaltende Fähigkeiten oder Herausforderungen handelt. Vielmehr ist dies von der subjektiven Wahrnehmung der beiden Komponenten abhängig, welche jede Person individuell vornimmt. Durch diese subjektive Sichtweise kann dieselbe Anforderung bei der gleichen Person zu unterschiedlichen Zeitpunkten Angst, Langeweile oder einen Flow auslösen. Es ist somit nicht möglich zuverlässig vorherzusagen, in welcher konkreten Situation ein Mensch einen Flow bzw. Angst und Langeweile erfährt.[63]

Das Flow -Erleben hat eine Universalität, was bedeutet, dass potentiell jede Tätigkeit einen Flow auslösen kann und dass auch jeder Mensch einen Flow erfahren kann. Es kommt dabei, wie gesagt, nur auf die entsprechende Kombination von Anforderungen und Fähigkeiten an.
Hier kommt jedoch noch einmal die Flow-Dynamik ins Spiel. Eine Tätigkeit kann nämlich nie auf Dauer bei einer Person einen Flow entstehen lassen. Die Person will sich weiterentwickeln und sucht nach einer neuen Herausforderung. Dieselbe Aufgabe würde den gewachsenen Fähigkeiten nicht mehr entsprechen, so dass Langeweile aufkäme.[64] Wie schon im 3. Kapitel angesprochen, ist es gerade die Kompetenzsteigerung, die Freude bereitet. „Eine Person [findet] dann an einer Aktivität Spaß, wenn diese ein Stimulationsmuster mit sich bringt, das sich für die betreffende Person vom Gewohnten abhebt. Neue Stimuli wirken angenehm für ein Nervensystem, das sonst mit der Bewältigung repetitiver Informationen belastet ist.“[65]
Es gibt gewisse Rahmenbedingungen der Situation, die das Entstehen eines Flows wahrscheinlicher machen können:
Trotz der Universalität kommt es sehr oft bei Aktivitäten wie Yoga, Sport, Meditation, Musik, oder allgemein bei kreativen/ handwerklichen, geistig produktiven und sozial interaktiven Tätigkeiten zu einem Flow. Spiele, Rituale und künstlerische Aktivitäten begünstigen insofern einen Flow, als dass die Teilnehmer feste Regeln befolgen. Somit müssen keine Rollen ausgehandelt werden und es wird kein „Selbst“ benötigt, welches über „Sollen und Nicht-Sollen“ verhandelt.[66]
Eher selten hingegen tritt ein Flow bei Tätigkeiten wie Warten, Sinnieren, oder passives Gefahrenwerden auf, wobei auch diesen Tätigkeiten ein Potential zum Flow-Erleben unterstellt wird.[67] Man kann sogar noch weiter gehen: „[Es] lässt sich flow in jeder Aktivität erleben, sogar in solchen, welche kaum Vergnügen implizieren- an der Front, an einem Fließband oder auch in einem Konzentrationslager.“[68]
Ein klares Ziel und schnelles Feedback ist ebenso förderlich. Es muss klar werden, welchen Sinn die Aufgabe hat, was getan werden muss und wie gut man sie bewältigt hat.[69] Dabei sollte die Rückmeldung klar und interpretationsfrei erfolgen, da eine Unsicherheit über das Feedback die Aufmerksamkeit von der Tätigkeit ablenken würde. Die Rückmeldung sollte also möglichst keine Unterbrechung der Arbeit erfordern.[70] „Sobald sich die Aufmerksamkeit teilt, indem man die eigene Aktivität von außen sieht, wird der flow unterbrochen.“[71]
Ein Flow wird umso wahrscheinlicher, wenn man es der Tätigkeit wegen tut (autotelischer Charakter der Aufgabe) und nicht um in einem Konkurrenzkampf als Sieger hervorzugehen.
Es gibt allerdings auch Tätigkeiten, die sowohl eine starke intrinsische, als auch eine starke extrinsische Belohnung beinhalten. So kann man bei einer Aufgabe Spaß an der Durchführung haben und trotzdem für die eigene Leistung gut bezahlt werden. Durch diesen doppelten Anreiz wird natürlich ein Flow- Erleben noch stärker begünstigt.[72]
Förderlich wirkt sich auch eine Umgebung aus, die die Aufmerksamkeitsfokussierung zulässt und nicht zu viele Umgebungsreize darstellt. Nur so kann man die Wahrnehmung allein auf die Tätigkeit richten und die restlichen Reize ausblenden.[73]
Dazu bietet sich ein begrenztes Stimulus Feld an, wie z. B. der Computerbildschirm oder ein generell begrenztes Operationsfeld, so dass man beispielsweise die benötigten Gegenstände in seinem direkten Umfeld positioniert und dadurch nicht gezwungen ist, ständig den Ort zu wechseln. Durch eine Reduktion der Umgebungsreize kommt es dann fast von selbst zu einer Fokussierung der Aufmerksamkeit.[74]
Jedoch ist nicht nur die Gestaltung der Situation wichtig für das Flow-Erleben, sondern auch förderliche Persönlichkeitseigenschaften. Es gibt zum Beispiel Personen, die „an wenig autotelischen Tätigkeiten Spaß finden, während andere sogar für Tätigkeiten voller intrinsischer Belohnungsmöglichkeiten äußere Anreize brauchen. Wir können daher annehmen, dass es tatsächlich eine autotelische Persönlichkeitsvariable gibt, welche von der autotelischen Struktur der Aktivität unabhängig ist.“[75] Grundlegend haben aber folgende Kriterien einen positiven Einfluss auf das Entstehen von Flow- Erlebnissen:

* Flexibilität für neue Situationenà Man muss bereit sein neue Informationen aufzunehmen.

* Fähigkeit zur Selbstkontrolleà Man braucht kein Feedback von anderen, sondern ist selber in der Lage seine Ergebnisse einzuschätzen.

* Herausforderungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance sehenà Man muss den Mut haben, auch unbekannte Aufgaben anzugehen um an ihnen zu wachsen.

* Fähigkeit zum Strukturieren und Organisierenà Man muss die Arbeit strukturiert angehen und schauen, was wirklich wichtig ist.[76]

Es ist aber nicht so, dass man niemals einen Flow erleben wird, wenn man diese Merkmale nicht mitbringt. Sie sind nämlich auch trainierbar. „Es gibt Leute, die direkt in eine flow- Episode einsteigen können, indem sie ihre Aufmerksamkeit in flow-adäquater Weise auf ein begrenztes Stimulusfeld einschränken und so das Verschmelzen von Bewusstsein und Handlung einleiten. Die meisten machen sich allerdings äußere Umstände zunutze, um in den flow-Zustand zu gelangen.“[77] Es ist dabei demnach besonders wichtig, die Situation so zu gestalten, dass sie zu einem Flow führt. Hilfreich können dabei folgende Punkte sein:

* Man muss sich ein Gesamtziel mit mehreren Unterzielen setzen. Durch die erreichten Unterziele, bekommt man ein Erfolgsgefühl und man kann den Fortschritt besser ablesen. Sie sind für das eigene Feedback sehr wichtig.

* Man muss versuchen, seine Konzentrationsfähigkeit zu fördern, so dass man wirklich fähig ist, in einer Aufgabe zu versinken.

* Man sollte versuchen, die Fähigkeiten den Anforderungen anzupassen.

* Man muss sich trauen, die Messlatte höher zusetzen, wenn ein Ziel erreicht wurde.[78]

Die Umsetzung der genannten Punkte, die sich auf die Situationsgestaltung und Persönlichkeitsmerkmale beziehen, kann jedoch kein Flow- Erlebnis garantieren. Die Passung von Kompetenz und Anforderung muss nicht zwangsläufig zum Flow führen. Gerade bei misserfolgsängstlichen Menschen ist dies problematisch, da sie die mittelschweren Aufgaben meiden, bei denen ein Flow am wahrscheinlichsten wird. Auch die Umsetzung der genannten Punkte überfordert sie leicht, da gerade dort ihre Probleme zu sehen sind.
Wenn wichtige Folgen auf dem Spiel stehen, reagieren aber auch andere Menschen oft eher mit Besorgnis, als mit einem Flow. Beide Reaktionen sind also bei der angesprochenen Passung möglich: Besorgnis oder Flow- Erleben.[79]
Nach der bisherigen Definition des Flow-Erlebens, ist nur von einem Flow zu sprechen, wenn dies die völlige Vereinnahmung der Person beinhaltet. Hielte man sich nur an die Definition des „großen“ Flows, könnten sich wohl viele Menschen an gar keinen Flow oder nur an sehr vereinzelte Flow- Erlebnisse erinnern.
Es sind auch sogenannte Micro-Flows möglich, die einen ähnlichen Effekt haben, aber generell schwächer ausgeprägt sind. Auch sie folgen dem Prinzip der Passung, so dass die Anforderungen den Fähigkeiten entsprechen müssen, nur wird hier eine nicht so tiefe und andauernde Versunkenheit vorausgesetzt.[80]
Flows kommt eine wichtige Rolle in der Gesundheitserhaltung zu. Es wurde ein Test bei vielbeschäftigten Managern durchgeführt, bei dem herauskam, dass diejenigen, die öfters ein Flow-Erlebnis hatten, wesentlich seltener krank wurden, als die Manager, die dieses Erlebnis nicht, oder nur selten hatten.[81]
Wer öfters einen Flow erlebt, hat eine höhere Lebenszufriedenheit und baut damit einen Puffer gegen Stress auf. Es erhöht sich auch die Leistungsfähigkeit: In einer Studie wurden Studenten eine Woche vor ihrer Abschlussklausur bei der Bearbeitung von Übungsaufgaben beobachtet. Man hat ihre Flow-Erlebnisse untersucht, die sie beim Lösen der Aufgaben hatten. Es stellte sich heraus, dass die Studenten, die öfters einen Flow erlebten zum einen erfolgszuversichtlicher waren und auch bessere Ergebnisse in der Klausur erzielten, als ihre Kommilitonen, die nur von wenigen Flows berichteten.[82]
Menschen, die öfter einen Flow erleben, können zusätzlich eigentlich langweilige Arbeiten in für sie positive umwandeln (ähnlich wie bei der Suche nach motivpassenden Zielen). Dies basiert auf dem Phänomen, dass sie eine andere Informationsverarbeitung aufweisen. Der Aktivierungsspiegel (die Anstrengung) sinkt bei der Konzentration, obwohl er im Normalfall steigen müsste. Dies bedeutet, dass man starke Konzentration bei geringer Anstrengung erreicht. Es spricht also wieder dafür, dass Flow-Erleben tatsächlich trainierbar ist.
Ein Flow fördert sowohl das aktuelle als auch das habituelle Wohlbefinden und ist indirekt gesunheitsprotektiv, da Emotionen wie Langeweile, Aggression oder Angst, die physische Verfassung beeinträchtigen können. Da ein Flow diese Emotionen nicht entstehen lässt und einen generellen Puffer dagegen aufbaut, ist er für die Bewältigung von Stress förderlich.[83] Ein Flow hat demnach „[positive] Auswirkungen auf das körperliche Befinden, das intellektuelle Leistungsvermögen und das Selbstkonzept.“[84]
Oftmals wirken positive Emotionen nur gesundheitsprotektiv, indem sie Depressionen verhindern, die ihrerseits einen nachweislich negativen Einfluss auf den Körper haben. Man kann sich durch euthymes Erleben einen Puffer aufbauen, der zu einer höheren Belastbarkeit führt, ohne dass dies als Stress empfunden wird.
Nachdem ich nun versucht habe, einen Überblick über das Feld der Stressbewältigungsprogramme zu geben, will ich im folgenden Kapitel, wie bereits angekündigt, eine konkrete Sitzung eines auf Belastungsausgleich ausgerichteten Trainings vorstellen. Es soll dadurch ein Eindruck gegeben werden, wie sich so ein Training nun im ganz konkreten Fall gestaltet.

[54] Csikszentmihalyi, 2000. S. 61.

[55] Vgl. Rheinberg, 2002.

[56] Vgl. Ebd.

[57] Csikszentmihalyi, 2000. S. 72.

[58] Vgl. Viehauser, 2000.

[59] Abb. Vgl. Viehauser, 2000.

[60] Vgl. Csikszentmihalyi, 2000.

[61] Vgl. Ebd.

[62] Vgl. Viehauser 2000.

[63] Vgl. Csikszentmihalyi 2000.

[64] Vgl Viehauser, 2000.

[65] Csikszentmihalyi, 2000. S. 47.

[66] Vgl. Csikszentmihalyi 2000.

[67] Vgl. Rheinberg, 2002.

[68] Csikszentmihalyi 2000. S. 59.

[69] Vgl. Viehauser 2000.

[70] Vgl. Rheinberg 2002.

[71] Csikszentmihalyi 2000. S. 61.

[72] Vgl. Csikszentmihalyi 2000.

[73] Vgl. Viehauser 2000.

[74] Vgl. Rheinberg. 2002.

[75] Csikszentmihalyi 2000. S. 44.

[76] Vgl. Viehauser 2000.

[77] Csikszentmihalyi, 2000. S. 74-75.

[78] Vgl. Viehauser, 2000.

[79] Vgl. Rheinberg, 2002.

[80] Vgl. Viehauser, 2000.

[81] Vgl. Ebd. S. 134. (Csikszentmihalyi 1995)

[82] Vgl. Engeber, 2002, nach Rheinberg, 2002.

[83] Vgl. Viehauser, 2000.

[84] Csikszentmihalyi, 2000. S. 32.
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