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6.2 Auswirkungen auf die Rolle der Frau
Wie beeinflussten die asketischen Reinheitsvorstellungen, die seit der Antike immer strikter wurden, nun die katholischen Frauen? Aus den im vierten Kapitel genannten Beispielen folgt, dass in Fragen der Reinheit Frauen im Vergleich zu den Männern fast immer mehr betroffen waren. In diesem Kapitel werde ich detailliert auf diese Unterschiede eingehen.
In erster Linie waren das physiologische Besonderheiten der Frauen, die für sie von Nachteil waren, nämlich: Schwangerschaft, Geburt und Menstruation. Angenendt nennt Menstruation als einen besonderen Faktor, der eine Frau „kultisch zurücksetzte“.[94] Er zitiert dabei einen der berühmtesten Lexikographen des Mittelalters, Isidor von Sevilla, der sich in seinem Buch Etymologien zum Thema Menstruation abwertend äußert und dabei auf Plinius den Älteren hinweist: „Bei Berührung mit Menstruationsblut können Früchte nicht keimen, kommt der neue Wein ins Säuern, verdorrt die Vegetation, verlieren die Bäume unreifen Früchte, [...] Erdpech, das weder zu Eisen noch zu Wasser trennbar ist, löst sich von selbst, wenn es mit diesem Blut verunreinigt wird“.[95]
Solche Ansichten hatten für Frauen im Mittelalter spürbare Konsequenzen: sie wurden von der aktiven Teilnahme an Gottesdiensten vollkommen ausgeschlossen, ja es ging noch weiter: „Lag es für die Frau schon längst jenseits aller Möglichkeiten ein Amt zu übernehmen, so wurde ihr nun überhaupt der Zutritt zum Altarraum verwehrt“.[96] Weitere Verbote, die auch für enthaltsam lebende Nonnen galten, beinhalteten die Übernahme von kirchlichen dienenden Tätigkeiten wie das Backen von Hostien oder Waschen von Altartüchern. Auch von Handreichung während des Gottesdienstes war nicht mehr die Rede.[97]
Ebenso kann das bereits erwähnte Zölibat als einer der Faktoren der weiblichen Ungeeignetheit für den kirchlichen Dienst verstanden werden. Foley weist auf den negativen Unterton, den der auf den ersten Blick nicht frauenabwertende Begriff des Zölibats an sich hat, hin: "Die Frau ist ungeeignet dem Bereich des Heiligen oder der Person des geheiligten Dieners der Kirche zu nahen. Überdies befleckt der geschlechtliche Verkehr den geheiligten Amtsträger und macht ihn ungeeignet für seine priesterliche Funktion".[98]
Diese Ansichten entiwickelten sich zweifelsohne nicht von selbst – ihnen lag eine enorme theologische Arbeit zu Grunde. Dies bedeutete in erster Linie, dass bestimmte Fragmente der heiligen Schrift auf die Weise interpretiert wurden, die den aktuellen gesellschaftlichen Vorstellungen von sozialer Ordnung entsprachen. Demmytenaere zeigt einige Zusammenhänge zwischen bestimmten Zitaten aus dem Neuen Testament, ihrem Ursprung und ihrer Auslegung, die konkreten nachteiligen Folgen für die Frau hatten. Er behauptet nämlich, dass Paulus' theologische und anthropologische Ansichten nicht auf Ideen Jesu, sondern auf dem Alten Testament basieren, vor allem auf der Schöpfungsgeschichte, die von Paulus in Rahmen der jahvistischen Tradition interpretiert wurde.[99]
Trotz der scheinbaren Gleichheit, in der beide Geschlechter erschaffen wurden, wird die Ordnung der Schöpfung in den Vordergrund gestellt, was laut Demmytenaeres Interpretation von Paulus' Wörtern folgende Konsequenzen nach sich zieht: "Woman has to receive instruction in silent humility and certainly not give instruction herself, 'because Adam was created first, afterward Eve'. [...] Man should not cover his head, but woman has to do so, 'because man is the image and glory of God; but woman is the glory of man".[100]
Demmytenaere erwähnt das im Jahr 585 in Frankreich stattgefundene Konzil von Macon, wo einer der teilnehmenden Bischöfe sich an seine Kollegen mit der Frage "Can woman be called man?"[101] wandte. Seine Argumentation basierte ebenso auf der Ordnung der Erschaffung. Das Auftauchen dieser Frage war nicht zufällig – immer wieder begegnet man ihrer Variationen. Die gewisse Zweideutigkeit der angebotenen Antworten kann besonders gut am Beispiel der Werke von St. Augustin gesehen werden.
Dieser äußerst bekannte Theologe der Periode zwischen Antike und Mittelalter (354-430) beschäftigte sich mit Fragen der theologischen Anthropologie und insbesondere mit der gesellschaftlichen Stellung der Frau. Als Ausgangspunkt für seine Überlegungen benutzte er die bereits erwähnten Paulusbriefe.[102] Diese bieten eine gewisse Doppeldeutigkeit, denn es wird gleichzeitig behauptet, dass Mann und Frau gleichwertig als Abbildung Gottes sind, doch die Schöpfungsordnung weist auf die zweitrangige soziale und religiöse Position der Frau hin.
Augustinus findet folgende Lösung für dieses Dilemma: Menschen, Männer sowie Frauen stellen eine Abbildung Gottes dar, doch diese Abbildung gilt nur im spirituellen Sinne und erweitert sich nicht auf ihre Körper, da Gott keine körperliche Form hat.[103] Das lässt Demmytenaere schliessen: "Accordingly woman cannot be the image of God in her bodily and social existence".[104] Diesen Gedanken etnwickelt er folgendermaßen: "Only joined with man, 'one flesh' with him, she is the image of God, for the human nature is the image of God when seen in its totality as one entity".[105]
Wie es einem aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts stammenden Dokument, das priesterliche Pflichten reglementiert, zu entnehmen ist, gelten Frauen als verunreinigender Faktor, mit dem jeder enge Kontakt streng vermieden werden muss. Als Folge hat ein Priester darauf zu achten, dass er: "die geschlechtliche Unberührheit einhalte, dass er Frauen nicht in seinem Hause wohnen lasse noch ihre Besuche gestatte".[106]
Wohlrab-Sahr/Rosenstock beschreiben die „idealtypisch-kontrastierende Symbolisierung des weiblichen Geschlechts“[107] im Katholizismus, für die beispielhaft die beiden unterschiedlichen Figuren Eva und die Gottesmutter Maria stehen. Eva, die Erbsünde symbolisierend, gilt dabei als Allegorie der Unreinheit, Marias absoluter Reinheit dagegen liegt ihre Jungfräulichkeit zugrunde. Dadurch bekommen Frauen als 'Töchter Evas' automatisch ein Sünderinnen-Image zugeschrieben, gegen das sie schlecht ankämpfen können, da einerseits nur Jungfräulichkeit Reinheit garantiert[108], andererseits die natürliche Aufgabe der Frau nichtsdestotrotz im Kindergebähren besteht: „In Maria wird Reinheit durch eine Frauenfigur verkörpert, die in ihrer Asexualität der Unreinheit des weltlichen Alltaglebens, das Sexualität einschließt, polar gegenübergestellt werden kann“.[109] Indem sie sich auf das Beispiel dieses ungleichen Frauenpaares, das die absolute Reinheit beziehungsweise Unreinheit symbolisiert, stützten, bekamen katholischen Theologen die Möglichkeit, eine gegen Frauen gerichtete Argumentation zu entwickeln, die diese als das potentiell unreine Geschlecht entwarf.
Vor diesem Hintergrund möchte ich ein wichtiges Dokument, das eine sehr bedeutsame Rolle in der gegenwärtigen Diskussion zum Thema Frauenordination gespielt hat, nämlich das 1994 von Johannes Paul II. verfasste Ordinatio Sacerdotalis, nicht unerwähnt lassen.
In seiner Schrift beruft sich Johannes Paul II. auf seinen Vorgänger Papst Paul VI., der wiederum das Neue Testament als Basis für seine Argumentation herangezogen hatte. Beide betonen die Tatsache, dass Jesus ausschließlich männliche Apostel wählte und damit, so die päpstliche Interpretation, die Kirchenordnung für alle Zeiten festgelegt habe. Außerdem stehe die kirchliche Tradition im Vordegrund, nämlich: „die konstante Praxis der Kirche, die in der ausschließlichen Wahl von Männern Christus nachahmte, und ihr lebendiges Lehramt, das beharrlich daran festhält, daß der Ausschluss von Frauen vom Priesteramt in Übereinstimmung steht mit Gottes Plan für seine Kirche.“[110]
Johannes Paul II. besteht darauf, dass keine Änderung der seit fast zwei Tausend Jahren üblichen Kirchenpraxis und keine Diskussionen zu diesem Thema zulässig sind: „Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, die die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben“.[111]
Hervé Legrand betont in seinem Artikel Die Frage der Frauenordination aus der Sicht katholischer Theologie. "Inter Insigniores" nach zehn Jahren die besondere Haltung der heutigen katholischen Kirche, die zwar immer noch zu ihrer Tradition steht, wie auch aus der Predigt von Johannes Paul II. hervorgeht, sich jedoch zugleich dem Problem der Begründbarkeit der von ihr angeführten Argumentation immer weniger entziehen kann, da diese "in gewissen Teilen der zeitgenössischen abendländischen Theologie an Überzeugungskraft verloren"[112] habe. Legrand vermutet, dass die im ersten amtlichen katholischen Dokument zum Thema Frauenordination[113] ausgedrückte Position trotz laufender Diskussionen noch länger Bestand haben wird und dass es noch enormer Arbeit seitens der katholischen Theologen bedarf, bis diese Argumentation revidiert werden kann.
Zu den Besonderheiten, die das 20. Jahrhundert der Geschichte des Katholizismus hinzugefügt hat, gehört unter anderem die Tatsache, dass nicht alle gläubigen Katholikinnen sich an die Entscheidungen von Johannes Paul II. halten. Ein gutes Beispiel dafür ist die seit 20 Jahren existierende Fraueninitiative Maria von Magdala, die sich für die „rechtlich verankerte Gleichstellung der Frauen in der Kirche“[114] einsetzt: „Eine so verstandene Kirche der Zukunft ist im Prinzip der Menschenrechte und der Mitbestimmung fest verankert. Alle Glaubenden nehmen gleichberechtigt am Leben der Gemeinde teil. Das Amt des lebenslang geweihten Priesters und das daran geknüpfte Amtsverständnis mit seiner Autorität gegenüber nicht geweihten Glaubenden wird abgelehnt“.[115]
Zweifelsohne ist diese Initiative an sich schon äußerst interessant und könnte bereits als solche zum Gegenstand einer eigenen umfassenden Arbeit werden. Was aber viel mehr meine Aufmerksamkeit auf sich zog, waren die Kommentare einiger Besucher der oben erwähnten Webseite, die ihre Ablehnung der Initiative beispielsweise auf folgende Weise ausdrückten: „Diese Sektiererei wird vergehen. Die Form der Priesterweihe ist Dogma. Im II. Vatikanum ausdrücklich erwähnt. Aber ich nehme an, dass die widernatürliche 'Priesterinnenweihe' von Ihnen auch viel lieber mit dem 'Geist des Konzils' begründet wird als mit den tatsächlichen Texten“.[116]
Die Tatsache, dass dieser Kommentar von einem männlichen Gast hinterlassen wurde spielt meiner Meinung nach eine weniger bedeutende Rolle als die darin ausgedrückte Bereitschaft, auch noch im 21. Jahrhundert auf Argumente wie 'natürliche Ordnung' zurückzugreifen.
Anne-Marie Korte weist in ihrem Artikel Reclaiming Ritual: A Gendered Approach to (Im)purity darauf hin, dass, obwohl kultischer Unreinheit im Katholizismus niemals so viel Beachtung geschenkt wurde wie beispielsweise im Judentum, einige genau hierauf bezogene Rituale dennoch sogar bis in die heutige Zeit erhalten blieben. Als Beispiel dafür nennt sie das Ritual des Kirchganges für Wöchnerinnen, das erst mit dem Beschluss des zweiten Vatikanischen Konzils abgeschafft wurde: "Churching was replaced under liturgical renewal of Vatican II by blessing of both parents at the christening of their child, thereby erasing any explicit reference to women's 'bodily state' from Catholic ritual".[117]
Korte betont dass, obwohl das Thema der kultischen Unreinheit der Frauen oft in den Hintergrund geschoben und mit externen Faktoren wie beispielsweise vorchristliche und soziokulturelle Einflüsse oder Aberglaube erklärt wird, seine ursprüngliche religiöse Bedeutung immer noch leicht zu verfolgen ist.[118] Als Beispiel nennt sie die Teilnahme von Laien an der katholischen Liturgie, die sich dadurch auszeichnet, dass Frauen keinesfalls den Altar betreten dürfen: "only the image of cultic impurity can explain why women (regardless of their secular or religious status) must keep their distance from sacred spaces and objects".[119]
In ihrem Artikel setzt sich Korte mit den Untersuchungen des deutschen katholischen Liturgisten Franz Kohlscheins auseinander und kommt dabei zu meiner Meinung nach äußerst interessanten Erkenntnisen. Zu den Gründen, warum der Katholizismus dem Thema Reinheit immer noch so hohe Bedeutung beimisst, gehören – so Kohlschein in seiner Arbeit Die Vorstellung – die Übernhame der Reinheitsvorstellungen aus dem Alten Testament, die magischen Konnotationen des Blutes im Unterbewusstsein der westlichen Kultur und die etlichen westlichen Philosophien, die sich eine negative Einstellung zum Thema Sexualität zu eigen machten.[120] All diese Gründe, so Korte, verbindet die allgemeine Tendenz zum Erklären der immer wieder kehrenden Bezugnahmen auf die kultische Unreinheit mit externen Faktoren (von denen einige bereits oben genannt wurden).
Diese Tendenz führt Korte auf die abnehmende Bedeutung des Themas Reinheit im westlichen Christentum sowie auf das schwindende Interesse an diesem Thema zurück.[121] Als Ursache dieser Phänomene nennt sie wiederum die in erster Linie für die abendländische Kultur typische Internalisierung des Glaubens und beruft sich dabei auf Mary Douglas' Theorie, in der diese Art der Internalisierung mit dem Prozess der Deformalisierung ("the disappearance of hierarchical relationships and social conventions based on status and position"[122]) in Zusammenhang gebracht wird. "In other words, the core of religious belief no longer resides in religious gestures and ceremonial acts, but in what the individual believer perceives and experiences 'deep within", so Kortes Resümee.[123]
Es lässt sich also schlussfolgern, dass obwohl das Thema der rituellen Reinheit im heutigen Katholizismus nicht als das entscheidende Argument gegen die Teilnahme der Frau an kultischen Handlungen angesehen wird, nähere Untersuchungen dennoch zeigen, dass die konsequente Übernahme der aus demantiken Christentum überkommenen negativen Einstellungen nicht zuletzt vom Faktor der angenommenen kutlischen weiblichen Unreinheit beeinflusst wurde.
[94] Vgl. Ebd., S. 305.
[95] Ebd.
[96] Ebd.
[97] Vgl. Ebd.
[98] Foley 1998, S. 47-48.
[99] Vgl. Demmytenaere 1990, S. 143.
[100] Ebd.
[101] Vgl. Ebd., S. 141.
[102] Vgl. Ebd., S. 143.
[103] Vgl. Ebd., S. 144.
[104] Ebd., S. 145.
[105] Vgl. Ebd.
[106] Hartmann zit. n. Angenendt, S. 315.
[107] Wohlrab-Sahr/Rosenstock 2000, S. 292.
[108] Vgl. Ebd.
[109] Ebd.
[110] Papst Johannes Paul II. (1994): Apostolisches Schreiben Ordinatio Sacerdotalis von Papst Johannes Paul II an die Bischöfe der katholischen Kirche über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe. . Rev. 10.10.2007.
[111] Ebd.
[112] Legrand, Hervé: Die Frage der Frauenordination aus der Sicht katholischer Theologie. "Inter Insigniores" nach zehn Jahren. In: Gössmann, Elisabeth, Bader, Dietmar (Hrsg.): Warum keine Ordination der Frau? Unterschiedliche Einstellungen in den christlichen Kirchen. München u.a.1987, S. 89.
[113] Vgl. 'Inter Insigniores' – Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt . In: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 3, Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 1976.
[114] Maria von Magdala: Initiative für Gleichberechtigung Frauen in der Kirche. . Rev. 10.10.2007.
[115] Ebd.
[116] Ebd.
[117] Korte 2000, S. 313.
[118] Vgl. Ebd., S. 314.
[119] Ebd., S. 316.
[120] Ebd.
[121] Vgl. Ebd.
[122] Ebd.
[123] Ebd., S. 317.
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