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6.1 Reinheitsvorstellungen und Vorschriften im Katholizismus
Wie bereits für das antike Christentum gezeigt werden konnte, gingen die Meinungen der Theologen in Fragen religiöser Reinheitsgebote deutlich auseinander. Während die eine Seite der aus dem Neuen Testament ableitbaren Theorie folgte, wonach alles Natürliche, was zum Leben eines Menschen gehört (und also auch solche 'Vorkommnisse' wie Menstruation, Geschlechtsverkehr oder Nahrungsaufnahme) nicht als Verunreinigungsfaktoren angesehen werden soll, wies die andere Seite gerade auf den verunreinigenden Charakter dieser Bestandteile des menschlichen Lebens hin und riet zur Askese und Enthaltsamkeit als Instrumente der inneren Reinigung.
Im Mittelalter setzte sich diese Polemik fort. Als jeweils markante Beispiele für beide eben beschriebene Positionen können die Meinung des Papstes Gregor des Großen zum Thema Reinheit einerseits und die darauf folgende Reaktion des Bischofs Jonas von Orleans andererseits angeführt werden.
Gregor der Große, einer der bedeutendsten Autoritäten seiner Zeit, vertrat in seiner Antwort an Episkopus Augustinus die oben bereits erwähnte, auf die Aussage Jesu zurückgehende Theorie, dass wirkliche Reinheit oder Unreinheit im Herzen eines Menschen stattfindet: „Wenn also eine Frau ihre Blutung habe, scheide der Körper nur Überflüssiges aus, und so sei ihr weder der Zutritt zur Kirche noch auch zur Kommunion zu verwehren, denn ein Naturvorgang bewirke niemals Schuld“.[76] Allerdings weist Angenendt darauf hin, dass Gregor nicht völlig konsequent in dieser Ansicht blieb. Dies illustriert er anhand einer Aussage des Papstes über eine Frau, die nach einer überstandenen Geburt völlig frei sei in ihrer Entscheidung in die Kirche zu gehen um ihre Dankbarkeit zu beweisen oder nicht. Sollte sie sich jedoch „aus Ehrfurcht“ dagegen entscheiden, dann „sei das zu loben“.[77]
Auch der eheliche Geschlechtsverkehr wird allgemein als kein Hindernis zum Empfang der Kommunion angesehen, solange es „rechtens und mit dem Willen zum Kind“[78] vollzogen ist. Allerdings bekamen Gregors Einsichten trotz seiner Autorität wenig Unterstützung – Angenendt vermutet, dass sie als zu lax empfunden wurden. Er zitiert als Beleg hierfür Gregors Opponenten, Jonas von Orleans, der im 9. Jahrhundert ein wichtiges Traktat zum Thema Ehe verfasste und sich darin gleichfalls mit dem Problem der Reinheit beschäftigte. Jonas kritisierte die Tatsache „dass Eheleute nach ihrem Verkehr ohne besondere Reinigung in die Kirche kämen und Leib und Blut Christi empfingen“[79], denn „nur ehrfurchtsvoll könne man die Kirche Christi betreten und dessen Leib und Blut nur mit reinem Körper und lauterem Herzen empfangen“.[80]
Im hohen Mittelalter kam es zu erneuten Versuchen seitens der Theologie, die von Gregor dem Großen vorgeschlagenen Ansichten zu verteidigen. Dabei wurden Verhaltensweisen wie ehelicher Geschlechtsverkehr vor der Kommunion oder Kirchengänge von Wöchnerinnen als eher milde Vergehen angesehen – sie wurden nicht eindeutig verboten, galten aber als eher unerwünscht. Als Beispiel für einen solchen Aufklärungsversuch nennt Angenendt das 1140 verfasste Decretum Gratiani, das mittlerweile als Ausgangswerk der Kanonistik gilt. Allerdings endeten solche Versuche mit wiederholtem Scheitern: „die Theologie vermochte zwar die frühmittelalterliche Position in der Theorie wenigstens teilweise zu korrigieren, in der Praxis aber lebte die überkommene Auffassung zumindest weiter“.[81] So basierten der Alltag der Gläubigen im Allgemeinen und der Kirchenalltag im Besonderen weiterhin in erster Linie auf den asketischen Reinheitsvorstellungen.
Ein Thema, das keineswegs außer Acht gelassen werden kann, wenn es um die mittelalterlichen Reinheitsvorstellungen geht, ist Zölibat und ihm zugrunde liegende 'Reinheit der Hände'. Die Forderung die kultischen Rituale 'mit reinen Händen' zu vollziehen wurde laut Angenendt aus den antiken Religionen übernommen. Bedeutet diese Forderung für Griechen, Römer und Israeliten in erster Linie die Notwendigkeit sich mithilfe von Wasser von durch Berührung mit Blut, Tod oder Geschlechtlichem verursachten Beschmutzungen zu befreien, so wurde sie im mittelalterlichen Christentum zunehmend metaphorisch verstanden.[82]
Bereits im frühen Mittelalter werden Dekrete verabschiedet, die den Dienern des Kultes vollkommene Enthaltsamkeit und Keuschheit vorschreiben. So wird beispielsweise in der angeblich ältesten, dem Papst Siricius zugeschriebenen Dekretale Canones Synodi Romanorum folgende Forderungen gestellt: „An erster Stelle wird festgesetzt für die Bischöfe, Priester und Diakone, denen an den göttlichen Opferfeiern teilzunehmen obliegt und durch deren Hände die Taufgnade ausgeteilt und der Leib des Herrn bereitet wird: Nicht nur wir, sondern auch die heilige Schrift verpflichten sie zur Keuschheit, wie auch die Väter befohlen haben, dass sie die körperliche Enthaltsamkeit einhalten müssten“.[83]
So wird der Begriff pollutio eingeführt, der beschmutzende Berührung mit dem Körperlichen darstellt.
Immer mehr Wert wurde auf 'Reinheit der Hände' in priesterlichen Ritualen gelegt: in karolingischer Zeit wurde das Ritual der Priesterweihe durch Salbung der Hände ergänzt[84], während der Messfeier musste sich der Priester Hände waschen.[85] Eine heilige Handlung setzte somit 'die reinen Hände' voraus. Diese Vorschrift fand ihren Ausdruck auch in für die Laien geltenden Ritualen. Ab nun durfte keine Kommunion mit den Händen genommen werden – der Priester legte sie mit seinen reinen Händen auf die Zunge der Nehmenden.[86]
Das Auswirken solcher Reinheitsvorstellungen auf die gregoreanische Reform, die vor allem das Bild des Priesters geprägt hatte, illustriert Angenendt mit dem Zitat aus dem Werk De coelibate Sacerdotum von Petrus Damiani, einen Theologen, der besonders aktiv zu den Idealen der Enthaltsamkeit stand: „Weisst du nicht, dass der Sohn Gottes so sehr die Reinheit bevorzugt hat, dass er nicht einmal in ehelicher Keuschheit, sondern nur im jungfräulichen Schoss Fleisch geworden ist? [...] Weiter, wenn du der Gatte und Vermählte deiner Kirche bist [...] dann werden alle, die in der Kirche durch das Taufsakrament wiedergeboren werden, mit dir als Söhne verwandt. Wenn du also mit deiner geistlichen Tochter Inzest begehst, mit welchem Gewissen wagst du das Geheimnis des Herrenleibes zu feiern?“[87]
Somit wird das Heilige dem Körperlichen entgegengesetzt, Jungfräulichkeit und Askese werden hervorgehoben.
Nadine Foley bezeichnet in ihrem Artikel Zölibat in der Männerkirche dieses Phänomen als „einzigartiges Symbol für die Beziehung der Frau zu der patriarchalischen Kirche“.[88] Sie bildet dabei eine einfach zu verstehende logische Kette: Die Kirche ist heilig und verkörpert das Sakrament – Sie stellt das Haus Gottes dar - In ihrer Heiligkeit ist die Kirche und in ihr ausführende Riten absolut rein – Nur diejenigen, die rein sind, haben das Recht auf das Vollziehen der kirchlichen Rituale.[89] Das Zölibat wird damit zum Ausdruck der absoluten Reinheit und Heiligkeit. Diener des Kultes, die in Keuschheit leben, haben das Recht, in Namen Gottes zu handeln.[90]
Eine hervorragende Übersicht der spezifischen Reinheitsvorstellungen im frühen Mittelalter bietet Albert Demmytenaere in seinem Artikel The Cleric, Women and the Stain. Er beschäftigt sich mit der Frage „whether women were human beings according to the medieval church“[91] - die Formulierung alleine macht die folgenden Überlegungen fast unnötig, denn dem Autor ist es gelungen den gesamten Inhalt seines Artikel in dieser Frage auszudrücken. Ich werde mich jedoch im nächsten Abschnitt dieses Kapitels mit Demmytenaeres Beobachtungen etwas detaillierter auseinander setzen.
Wie sieht das Thema Reinheit in der heutigen katholischen Theologie aus? Angenendt beantwortet diese Frage mit einem Zitat aus dem Buch von E. Dassmann Diakonat und Zölibat: „Dass die geschlechtliche Vereinigung von Mann und Frau in der Ehe kultunfähig oder kultunwürdig mache, entspringt nicht eigentlich neutestamentlichen Quellen, sondern allgemein religiösem Empfinden und ist heute nicht mehr nachvollziehbar“.[92] Auch das zweite Vatikanische Konzil hat dazu beigetragen, die allgemeinen Reinheitsvorstellungen zu ändern, und zwar durch eine Reihe praxisorientierter Beschlüsse: Genehmigung eucharistischen Dienstes verheirateter Diakone, Kommunion-Austeilung der Laien sowie Handkommunion.[93]
So kann man zwar feststellen, dass in der katholischen Kirche die Rückkehr zum neutestamentlichen Ideal der Reinheit erfolgreich fortgesetzt wird - allerdings darf man nicht die Tatsache außer Acht lassen, dass die archaischen, asketisch gerichteten Reinheitsvorstellungen, die aus dem antiken Christentum übernommen worden waren und ihre Wirkung durch das ganze Mittelalter fortsetzten immer noch ihren festen Platz innerhalb der katholischen Religion haben. Dieses werde ich mit dem folgenden Abschnitt meiner Arbeit etwas ausfürhlicher illustrieren.
[76] Ebd., S. 304.
[77] Vgl. Ebd.
[78] Vgl. Ebd.
[79] Vgl. Ebd.
[80] Jonas von Orleans zit. n. Angenendt, S. 304.
[81] Ebd., S. 306.
[82] Vgl. Ebd., S. 307.
[83] Canones synodi Romanorum hrg. von H.Th. Bruns zit. n. Angenendt s.308
[84] Vgl. Kleinheyer zit. n. Angenendt, S. 309.
[85] Vgl. Jungmann zit. n. Angenendt, S. 309.
[86] Vgl. Ebd.
[87] Damiani zit. n. Angenendt, S. 310.
[88] Foley, Nadine: Zölibat in der Männerkirche. In: Brooten, Bernadette, Greinacher, Norbert (Hrsg.): Frauen in der Männerkirche. München 1982, S. 45.
[89] Vgl. Ebd.
[90] Vgl. Ebd., S. 46.
[91] Vgl. Demyttenaere, Albert: The Cleric, Woman and the Stain. In: Affeldt, Werner (Hrsg.): Frauen in Spätantike und Frühmittelalter: Lebensbedingungen - Lebensnormen - Lebensformen; Beiträge zu einer internationalen Tagung am Fachbereich Geschichtswissenschaften der Freien Universität Berlin, 18. bis 21. Februar 1987. Sigmaringen 1990, S. 141.
[92] Dassmann zit. n. Angenendt, S. 316.
[93] Vgl. Angenendt 1993, S. 316.
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