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4. Zusammenhang zwischen dem Begriff der Reinheit und den Rollen der Geschlechter innerhalb einer Gesel
Bevor ich mit detaillierten Untersuchungen des Begriffs der Reinheit in einzelnen Abzweigungen des Christentums fortfahre, muss zunächst eine Antwort auf die nahe liegende Frage gegeben werden, warum gerade dieser Begriff meinen Untersuchungen zugrunde liegen soll.
Warum können Art und Ausprägung religiöser Reinheitsvorstellungen innerhalb einer Gesellschaft helfen, die vorherrschenden Geschlechterrollen innerhalb dieser Gesellschaft besser zu verstehen? Eine Antwort auf diese Frage findet man in Mary Douglas' Buch Reinheit und Gefährdung, in dem sie sich zwar überwiegend mit Reinheitsvorstellungen primitiver Völker beschäftigt, dessen allgemeine Aussagen zum Thema jedoch auf andere Religionen und Gesellschaften übertragen werden können.
Douglas bezeichnet den Kontakt zwischen beiden Geschlechtern als etwas im Grunde genommen positives, als zu Fortpflanzung und damit der Erhaltung eines Soziums führende Basis. Doch aus der Perspektive von Reinheitsvorstellungen erscheint dieser Kontakt als etwas höchst zweifelhaftes, das einer strikten Regulierung bedarf: „Reinheitsvorschriften [...] das Verlangen ausdrücken, den (physischen und sozialen) Körper intakt zu halten. Sie richten sich auf Kontrolle der Ein- und Ausgänge“.[29] Eine weitere Gruppe von Reinheitsvorschirften hat nach Douglas den Erhalt der Grenzen zwischen den Geschlechtern innerhalb einer Gesellschaft zum Ziel – und bestimmt auf dieser Weise die sozialen Rollen und die Beziehungen der Geschlechter untereinander.
„Im Fall einer ausgeprägten Organisation jedoch ist die primitive Sozialstruktur fast dazu gezwungen entscheidend in die Beziehungen zwischen den Geschlechtern einzugreifen. Es werden [...] Verunreinigungsvorstellungen herangezogen, um Männer und Frauen an die ihnen zugewiesenen Rollen zu binden“.[30]
Douglas liefert mit diesem Statement einen perfekten Ausgangspunkt für diese Arbeit. Die für die Fortpflanzung verantwortliche Sphäre des menschlichen Lebens ist innerhalb jeder Gesellschaft von immenser Bedeutung - denn die Nichtbeachtung dieser Sphäre würde zu enormen Problemen oder gar zum Verschwinden jener Gesellschaft führen. Reinheitsvorschriften erscheinen in diesem Kontext als Instrument des sozialen Regulierens.
Es werden somit zwei Hauptfunktionen des Reinheitsbegriffs erkennbar: Trennen (in diesem Fall – zwischen den Geschlechtern) und Machtverteilung, da unterschiedlichen sozialen Rollen ungleiche Machtverhältnisse innewohnen.
Douglas bezeichnet bestimmte Formen von Verunreinigung als Analogien sozialer Ordnungsvorstellungen.[31] Wenn z.B. geglaubt wird, dass ein Mann durch den Kontakt mit den Körperausscheidungen einer menstruirenden Frau oder gar mit der Frau selbst, verunreinigt wird, dann spiegelt dieser Glaube, so Douglas, die innerhalb der Gesellschaft existierenden Beziehungen zwischen den Geschlechtern wider: „Die Struktur derartiger Gefährdungen durch das andere Geschlecht kann als Ausdruck einer Symmetrie oder Hierarchie verstanden werden“.[32]
Allerdings fügt sie hinzu, dass diese Zusammenhänge in erster Linie symbolisch zu verstehen sind, d.h. auch wenn eine Frau während ihrer monatlichen Blutung als verunreinigend gilt, bedeutet dies nicht automatisch, dass Frauen innerhalb dieser Gesellschaft zwangsläufig eine niedrigere soziale Position zugeschrieben wird: „Die beiden Geschlechter können als Modell für das Zusammenwirken oder die Eigenständigkeit sozialer Einheiten dienen“.[33]
In ihrem Artikel Religion - soziale Ordnung - Geschlechterordnung. Zur Bedeutung der Unterscheidung von Reinheit und Unreinheit im religiösen Kontext beschäftigen sich Monika Wohlrab-Sahr und Julika Rosenstock mit der Frage, die auch für meine Arbeit zentral ist und beleuchten dabei das Thema am Beispiel fundamentalistischer religiösen Bewegungen mit der Begründung, dass diese „in der Regel eine explizite Verbindung zwischen religiöser Ordnung, sozialer Ordnung und Geschlechterverhältnis behaupten“.[34]
Als zwei Hauptmechanismen der sozialen Regulierung, die Religion und Verhältnis der Geschlechter verbinden, nennen die Autorinnen die religiöse Legitimierung der Ehe, sowie die symbolische Unterscheidung zwischen Reinheit und Unreinheit.[35] Dabei basiert ihre These, dass „die Unterscheidung von Reinheit und Unreinheit sich als Zweitcodierung mit der für das Religionssystem charakteristischen Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz verbindet“[36] auf der Religionstheorie Niklas Luhmanns.
Luhmann nennt Transzendenz und Immanenz als spezifischen Code eines religiösen Systems, die dem System einen Sinn verleihen, indem Immanenz den Anschluss an die Alltagserfahrungen garantiert, und Transzendenz dieselben Erfahrungen aus einem anderen Blickwinkel beobachten lässt. Diese Unterscheidung spiegelt sich in der Unterteilung in sakral und profan wider. Allerdings resultiert aus der Annahme, dass Gott eine bestimmte Wirkung auf menschliches Leben hat, „das Problem der Anschlussfähigkeit des Transzendenten“.[37] Dies führt zum Kreieren eines Zweitcodes, der das Leben im Jenseits beschreibt – im Fall der christlichen Religion sind das Himmel und Hölle, das Gute und Böse schlechthin. Ein Gläubiger hat aber bereits im Bereich der Immanenz die Möglichkeit, seine transzendente Zukunft zu beeinflussen, was wiederum die gesellschaftlichen moralischen Normen prägt: „Wenn es überhaupt zu dieser Zweitcodierung kommt, lässt sich enge Bindung der Religion an Moral nicht mehr verhindern“.[38]
Wohlrab-Sahr und Rosenstock gehen davon aus, dass eine solche Zweitcodierung logischerweise auch im Bereich der Immanenz erforderlich wird, als Hauptkriterium dafür, dass: „dort, wo Religion sich mit Moral verbindet, dies vorzugsweise mit Hilfe von Unterscheidung von Reinheit und Unreinheit geschieht“.[39]
Dabei weisen die Autorinnen darauf hin, dass die Unterscheidung, die sich auf Trennung von Reinheit/Unreinheit als Hauptkriterium stützt, vor allem in der Sphäre der Geschlechterverhältnis und Sexualität zu finden ist. Angst vor Verunreinigung war bereits „in vorindustriellen Gesellschaften weit verbreitet und insbesondere mit der Geschlechtlichkeit der Frau und den damit verbundenen Ausscheidungen, v.a. Menstruation, verknüpft“.[40] Diese Angst findet nach Wohlrab-Sahr/Rosenstock ihre Ausdruck in Regeln, die das sexuelle Verhalten regulieren sollen, und trägt außerdem zur gesellschaftlichen Moral bei, indem es idealisierte Reinheitsvorstellungen schafft (als Beispiel dafür könnte 'Reinheit des Herzen' genannt werden).
Solche Vorstellungen tragen zur sozialen Stratifizierung bei: „Der Code der Reinheit dient dabei [...] zur Hierarchisierung, die durch den Naturalismus der Reinheitsvorstellung legitimiert ist“.[41] Wieder betonen Wohlrab-Sahr/Rosenstock, dass in den meisten Fällen Frauen als benachteiligtes Geschlecht da stehen – und wieder werden Gründe wie Menstruation als Zustand der Unreinheit par excellence, oder das Zuschreiben der Triebhaftigkeit, die sie „zum Instrument des Bösen macht“[42] genannt.
Auch Ida Raming in ihrem Artikel Von der Freiheit des Evangelismus zur versteinerten Männerkirche betont – wenn auch nur am Rande – dass der Ausschluss der Frauen aus dem Bereich des kirchlichen Dienstes, der um das dritte Jahrhundert stattfand „nicht zuletzt wegen ihrer monatlichen Unreinheit“ geschah und auf den alttestamentlichen Reinheitsvorstellungen basierte.[43]
Besonders treffend finde ich die Formulierung von Elisabeth Behr-Sigel, die sich zwar auf die orthodoxe Abzweigung des Christentums bezieht, im großen und ganzen aber auf Christentum generell projiziert werden kann: „Die Frauen werden nicht unbedingt verachtet und unterdrückt; aber sie haben in der Kirche, sowie in der säkularen Gesellschaft einen bestimmten Platz, eine Rolle: ihren Platz, ihre Rolle, die nicht dieselben wie die der Männer sind“.[44]
Diese Formulierung bestätigt mein Statement, dass es zwischen dem Platz, den eine Frau innerhalb der Kirche hat und ihrer gesellschaftlichen Stellung einen direkten Zusammenhang gibt. Die Tendenz mag sich seit der Trennung von Staat und Kirche geändert haben, da es im Bereich der Menschenrechte revolutionäre Fortschritte gegeben hat, doch noch heute hält sich das Christentum (zumindest seine größten Abzweigungen wie Katholizismus und Orthodoxie) an die konservativen Vorstellungen über das Verhältnis der Geschlechter bezüglich des Kirchenamtes.
Zur hermeneutischen Fragestellung ist zu sagen, dass auch dann, wenn man sich die objektive Untersuchung des Problems zum Ziel setzt, genau dies kaum noch möglich zu sein scheint. Das Thema der Reinheit in Bezug auf Geschlechter kann allein schon deshalb nicht als objektiv erforscht gelten, da Aussagen von Frauen hierzu nahezu völlig fehlen. Eine besonders treffende Erklärung dafür liefert Anne-Marie Korte in ihrem Artikel Reclaiming Ritual: A Gendered Approach to (Im)purity: „commentary on the religious laws and ideas of purity that apply to women has been almost exculsively written by men“.[45] Außerdem beschäftigen sich mehrere primäre sowie sekundäre Quellen, so Korte, entweder gar nicht mit den religiösen Erfahrungen der Frauen oder allenfalls mit deutlich zutage tretender Abneigung und Subjektivität.[46]
Zudem macht Korte ihre Leser auf einen weiteren Aspekt des Problems aufmerksam, nämlich die gesellschaftliche Bedeutung all der Themen, die traditionell mit dem Begriff der Reinheit verbunden sind: Menstruation, Geburt, weibliche Sexualität. Diese galten lange Zeit als Tabuthemen, die von jeglicher öffentlicher Diskussion ausgeschlossen waren – genauso wie die sich darauf beziehenden Reinheitsgebote, die ausnahmslos ohne jede Infragestellung beachtet werden mussten. Eine Nichtbeachtung dieser Gebote seitens der Frauen hatte in der Regel fatale Konsequenzen für ihre gesellschaftliche Stellung.
Um dies zu illustrieren: eine Katholikin, die im Mittelalter schwanger wurde ohne verheiratet zu sein, galt nicht mehr als jungfräulich und somit als unrein. Eine solche Verletzung eines tief in der Religion und in der gesellschaftlichen Moral verwurzelten Gebotes zog Konsequenzen bis hin zur Exkommunikation nach sich. Gleichzeitig beraubte die Frau sich damit ihres Rufes und somit ihres gesellschaftlichen Status. Generell war damit ein tiefes Gefühl der Scham verbunden. Obwohl die gesellschaftliche Moral – zumindest in der abendländischen Kultur – seitdem einige Veränderungen durchlaufen hat, liegen diese Veränderungen noch nicht weit genug um uns die ausreichenden Nachweise seitens der Frauen zu gewähren.
Korte weist darauf hin, dass die oben genannten Themen nicht zufällig von Frauen gemieden wurden – ihre Spezifik machte eine öffentliche Stellungnahme fast unmöglich, da sie mit starkem Schamgefühl verbunden waren: „subject that generally invokes silence and concealment in women“.[47] Allerdings hat sich diese Situation vor einigen Jahrzehnten zumindest in der abendländischen Kultur geändert – was dazu führte, dass Untersuchungen wie die von Anne-Marie Korte oder diese Arbeit überhaupt möglich geworden sind. Obwohl es noch zu früh ist, um über bedeutende Änderungen im Kontext der Welttheologie zu sprechen, kann die enorme Bedeutung der bloßen Möglichkeit solcher Untersuchungen keinesfalls verneint werden, denn sie ermöglichen einen Blick auf unsere Gesellschaft und Religion aus einem vollkommen anderen Blickwinkel.
[29] Douglas 1985, S. 183.
[30] Ebd., S. 184.
[31] Vgl. Douglas 2006, S. 78.
[32] Ebd.
[33] Ebd.
[34] Wohlrab-Sahr, Monika, Rosenstock, Julika: Religion - Soziale Ordnung - Geschlechterordnung. Zur Bedeutung der Unterscheidung von Reinheit und Unreinheit im religiösen Kontext. In: Lukatis Ingrid, Sommer Regina, Wolf Christoph (Hrsg): Religion und Geschlechterverhältnis. Opladen 2000, S. 279.
[35] Vgl. Ebd. S. 280.
[36] Ebd.
[37] Ebd., S. 290.
[38] Luhmann zit. n. Wohlrab-Sahr/Rosenstock, S. 290.
[39] Ebd., S. 291.
[40] Ebd.
[41] Ebd., S. 296.
[42] Ebd.
[43] Raming, Ida: Von der Freiheit des Evangelismus zur versteinerten Männerkirche. In: Brooten, Bernadette, Greinacher, Norbert (Hrsg.): Frauen in der Männerkirche. München 1982, S. 17.
[44] Behr-Sigel, Elisabeth: Ordination von Frauen? Ein Versuch des Bedenkens einer aktuellen Frage im Lichte der lebendigen Tradition der orthodoxen Kirche. In: Gössmann, Elisabeth, Bader, Dietmar (Hrsg.): Warum keine Ordination der Frau? Unterschiedliche Einstellungen in den christlichen Kirchen. München u.a.1987, S. 50.
[45] Korte, Anne-Marie: Reclaiming Ritual: A Gendered Approach to (Im)purity. In: Poorthuis, Marcel. J. H. M., Schwartz, Joshua. (Hrsg.): Purity and holiness. The heritage of Leviticus. Leiden 2000, S. 317.
[46] Vgl. Ebd.
[47] Ebd., S. 318.
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