|
2.4.2 Die „natürlichen“ Handlungen Alexanders
Unter den „natürlichen“ Handlungen werden die Taten Alexanders verstanden, die nicht aus der Motivation entstanden, Achilles nachzuahmen, aber dennoch einen Bezug zu Achilles und der Ilias aufweisen.
Die unbewusste Beeinflussung durch Achilles zeigt sich in unterschiedlichen Bereichen.
Eine Parallele wird beim Vergleich der Lebensführung deutlich.
Bei Alexander dem Großen wie auch bei seinem Vorbild Achilles wurde das Leben zum großen Teil durch das Streben nach Ruhm bestimmt.
In der Ilias wird Achilles vor die Wahl gestellt:
„Meine Mutter (…) sagt, daß zwiefache Lose mich führen zum Ziel des Todes: Wenn ich hier bleibe und kämpfe (…) wird mir verloren die Heimkehr, doch unvergänglicher Ruhm sein; Kehre ich aber zurück (…) wird mein Ruhm verloren, doch lang wird die Dauer des Lebens (…)"[71]
Achilles entscheidet sich für unermesslichen Ruhm und sein baldiger Tod wird ihm von dem sterbenden Hektor vorrausgesagt.[72]
Alexander hatte nicht wie Achilles eine so konkrete Wahl zu treffen. Doch er entschied sich dafür, seinen Feldzug so lange weiterzuführen, bis er die ihm bekannte Welt erobert habe[73] und dadurch großen Ruhm zu ernten.
Alexander starb 323 v. Chr. ohne nach seinem Aufbruch, fast neun Jahre zuvor, noch einmal nach Makedonien zurückgekehrt zu sein.
Wie sein Vorbild starb Alexander jung und fern der Heimat.
Diese Parallele entstand nicht durch bewusste Nachahmung, sondern durch eine Orientierung an den Ruhmbestrebungen und großen Taten seines Vorbildes Achilles, dem von seinem Vater Peleus aufgetragen wurde „immer der Beste zu sein und ausgezeichnet vor anderen“[74]
In einem engen Zusammenhang mit den Ruhmbestrebungen Alexanders stand auch sein Wunsch nach der Vergöttlichung seiner Person, der ebenfalls mit seinem Vorbild Achilles zu tun haben könnte.
Während seines Aufenthaltes in Ägypten besuchte Alexander im Frühjahr 331 die Oase Siwa, um dort das Orakel des Ammon zu befragen.[75] Dort soll er vom Priester als Sohn des Gottes Ammon bezeichnet worden sein, den die Griechen und Makedonen mit Zeus gleichsetzten.[76] Über diesen Vorfall schrieb Plutarch:
„Nach dem Marsch durch die Wüste kam Alexander endlich an dem Orakelort an, und der Oberpriester des Ammon hieß ihn im Namen des Gottes als seines Vaters willkommen."[77]
Da Alexanders Gottessohnschaft zur gleichen Zeit auch von griechischen Orakeln in Kleinasien verkündet worden ist, kann davon ausgegangen werden, dass Alexanders Wunsch, als Sohn des Zeus anerkannt zu werden, bekannt war, bevor der Priester ihn als diesen bezeichnete.[78] Zu der Idee der Gottessohnschaft im Allgemeinen und der konkreten Vorstellung, von Zeus abzustammen, könnte Alexander von Achilles inspiriert worden sein, da Achilles in der Ilias der Sohn einer Göttin ist[79] und zugleich von Zeus abstammt.[80]
Alexander förderte diese Verklärung auf unterschiedliche Art und Weise.
Dies geschah zum Einen durch bildliche Darstellungen.
Der von ihm bevorzugte Maler Appeles soll Alexander mit einem Blitzbündel in der Hand gemalt haben.
Das Blitzbündel war ein Attribut des Zeus, wodurch Alexander in eine göttliche Sphäre erhoben wurde.[81] Eine ähnliches Bild, das auf seine Verbindung mit Zeus hindeutet, findet sich auf den von Alexander geprägten Münzen.[82]
Die Mythisierung seiner Person wurde zusätzlich durch den ihn begleitenden Geschichtsschreiber Kallisthenes vorangetrieben, der ihn in homerischer Tradition als übermenschlichen Helden beschrieb.[83]
Alexander selber nahm dieses Konzept in seine Selbstdarstellung auf, indem er sich als gottgleiches Wesen präsentierte. So soll er bei bestimmten Anlässen eine Kappe mit Bockshörnern getragen haben, die ebenfalls ein Attribut seines „Vaters“ Zeus waren.[84]
Eine optische Ähnlichkeit mit den Göttern weist in der Ilias auch Achilles auf. Dies wird bei der Begegnung von Priamos und Achilles im Lager der Achäer geschildert:
„(…)staunte der Dardanide Priamos an den Achilleus, welcher er war und wie groß; er glich den Göttern an Aussehen.“[85]
Des Weiteren wollte Alexander die Proskynese einführen. Dieser bei den Persern übliche Akt gegenüber dem Großkönig bestand aus dem Zuwerfen einer Kusshand und einem Fußfall.[86]
„(…) so wird berichtet, habe sich Alexander durch die Proskynese verehren lassen wollen, da er mehr auf das Gerücht seiner Abstammung von Ammon als von seinem Vater Philipp gab(…)“[87]
Die Aussage zeigt, dass Arrian davon ausgeht, dass Alexander die Proskynese aufgrund seiner göttlichen Abstammung für angebracht hielt. Die Griechen und Makedonen dagegen empfanden die Proskynese als entwürdigend, da sie in ihrer Kultur nur den Göttern gebührte. Die Durchführung der Proskynese wäre somit einer Anerkennung von Alexanders Göttlichkeit gleichgekommen, die sie ihm verweigerten.
Weitere Ähnlichkeiten zeigen sich im Vergleich der Charaktere.
Die Charaktereigenschaft des Achilles, die zum Hauptmotiv der Ilias, dem Zorn des Achilles, führt, findet sich auch bei Alexander.
Achilles zieht sich zu Beginn der Ilias zornig zurück, weil ihm sein Willen verweigert wird und er sich dadurch in seiner Ehre verletzt fühlt.[88]
Alexander der Große zeigt eine ganz ähnliche Reaktion, als das Heer in Indien den Weitermarsch verweigerte, und sich somit seinem Willen widersetzte. Zunächst drohte er, den Feldzug alleine fortzusetzen, doch als sich die Soldaten davon nicht beeindrucken ließen,[89] zog er sich laut Curtius Rufus für zwei Tage zornig in sein Zelt zurück.[90]
Der Unterschied in dem Verhalten der beiden besteht lediglich darin, dass Achilles das Verhalten von Agamemnon angesichts seiner Taten und seines Ruhmes als Entehrung ansieht, während Alexander durch das Verhalten des Heeres daran gehindert wird, durch eine Ausdehnung seines Herrschaftsbereichs weiteren Ruhm zu ernten.
Auch als Kämpfer kann Achilles für Alexander eine wichtiges Vorbild gewesen sein, da Achilles in der Ilias an mehreren Stellen als herausragender, tapferer Krieger beschrieben wird, der im Kampf mutig das eigene Leben einsetzt.[91]
Alexander selber kämpfte in den großen Schlachten stets in der vordersten Front und wurde dabei mehrmals schwer verletzt. [92]
Die Untersuchungen haben ergeben, dass Alexander auch im Persönlichen stark von Achilles Charakter beeinflusst wurde.
Der Einfluss von Achilles zeigt sich hier jedoch nicht durch direkte Nachahmung von Taten, sondern durch die Übernahme bestimmter Züge des Achilles, die Alexander als vorbildlich erschienen.
[71] Homer: Ilias. S. 173.
[72] ebd. S. 465.
[73] Wiemer: Alexander. S. 143.
[74] Homer: Ilias. S. 228.
[75] Dietmar Kienast: Alexander, Zeus und Ammon. In: Wolfgang Will (Hg.): Zu Alexander dem Großen. Festschrift G. Wirth zum 60. Geburtstag am 9.12.86. Amsterdam 1988. Band 1. S. 309.
[76] Wiemer: Alexander. S. 108.
[77] Plutarch: Alexander. S. 38.
[78] Wiemer: Alexander. S: 109. .
[79] Homer : Ilias. S. 11.
[80] ebd. S. 437.
[81] ebd. S. 44.
[82] Kienast: Alexander. S. 323.
[83] Wiemer: Alexander. S. 28-29.
[84] ebd. 167.
[85] Homer: Ilias. S. 523.
[86] Wiemer: Alexander. S. 138.
[87] Arrian: Alexanderzug. S. 307.
[88] Homer: Ilias. S. 10.
[89] Wiemer: Alexander. S. 148.
[90] Curtius Rufus: Alexandergeschichte. S. 291.
[91] Homer: Ilias. S. 134, 170.
[92] Wiemer: Alexander. S. 76.
|